Armenischer Premierminister plant seltenen bilateralen Besuch in der Türkei, um Erdogan zu treffen

ISTANBUL/TBILISI – In einem bedeutenden Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern hat der armenische Premierminister Nikol Pashinyan angekündigt, am Freitag die Türkei zu besuchen, um Gespräche mit Präsident...

Armenischer Premierminister plant seltenen bilateralen Besuch in der Türkei, um Erdogan zu treffen

ISTANBUL/TBILISI – In einem bedeutenden Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern hat der armenische Premierminister Nikol Pashinyan angekündigt, am Freitag die Türkei zu besuchen, um Gespräche mit Präsident Tayyip Erdogan zu führen. Dieser Besuch stellt einen seltenen bilateral Austausch dar, der darauf abzielt, die angespannten Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei zu resetten und die seit Jahrzehnten geschlossene gemeinsame Landgrenze wieder zu öffnen.

Die beiden Länder haben keine formellen diplomatischen Beziehungen, die von einer tiefen historischen Feindschaft geprägt sind, die ihren Ursprung im Völkermord an den Armeniern durch die osmanischen Streitkräfte während des Ersten Weltkriegs hat. Dieses Ereignis wird von Armenien und vielen anderen Ländern als Genozid anerkannt. Menschenrechtsorganisationen und Historiker bekräftigen immer wieder die Notwendigkeit, die Geschichte nicht zu vergessen und die Verbrechen von damals aufzuarbeiten.

Zusätzlich hat die Türkei traditionell die Seite ihres engen Verbündeten Aserbaidschan in dem langjährigen Konflikt mit Armenien unterstützt, was die Situation weiter kompliziert. Pashinyans bevorstehender Besuch könnte daher als strategischer Schritt gewertet werden, um die geopolitischen Dynamiken in der Region neu zu gestalten.

Istanbul Turkey skyline high quality professional image
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Hintergründe und Kontext

Die Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei sind seit der Schließung der Grenze im Jahr 1993 angespannt, die als Unterstützung der Türkei für Aserbaidschan im Konflikt um Berg-Karabach interpretiert wird. Dieser Konflikt führte zu einem massiven Exodus von Menschen und zu einer Verfestigung der Frontlinien, die bis heute bestehen. Laut BBC flohen im Jahr 2023 rund 100.000 ethnische Armenier aus Berg-Karabach nach Armenien, nachdem Aserbaidschan seine volle Kontrolle über die Region wiederhergestellt hatte.

Der armenische Parlamentspräsident Alen Simonyan bezeichnete den bevorstehenden Besuch als „historisch“ und betonte, dass er teilweise darauf abzielt, das Risiko neuer Kämpfe mit Aserbaidschan zu verringern. Diese Aussagen spiegeln das Bestreben wider, eine friedliche Lösung für die Konflikte in der Region zu finden, die durch militärische Auseinandersetzungen und politische Spannungen geprägt sind.

Pashinyan hat in der Vergangenheit wiederholt betont, dass die Normalisierung der Beziehungen zu Ankara Teil seiner Strategie ist, Armeniens Isolation zu überwinden und stärkere Bindungen zu westlichen Ländern aufzubauen. Dies wird besonders relevant, da die Beziehungen zu dem traditionellen Verbündeten Russland in den letzten Jahren erheblich abgekühlt sind. Reuters berichtete über die verschlechterten Beziehungen zwischen Jerewan und Moskau, die durch die Ukraine-Krise und Russlands Inaktivität im Armenien-Aserbaidschan-Konflikt noch verstärkt wurden.

Armenian Turkish relations stock photo
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Investigative Enthüllungen

In jüngster Zeit hat sich Armenien bereit erklärt, nicht mehr aktiv für die internationale Anerkennung des Völkermords an den Armeniern zu lobbyieren, was als erheblicher diplomatischer Rückschritt gewertet wird. Diese Entscheidung wurde von vielen Armeniern als umstritten angesehen und hat zu einer weiteren Polarisierung innerhalb der Gesellschaft geführt. Al Jazeera berichtete, dass dieser Schritt von Pashinyan als notwendige Kompromisslösung betrachtet wird, um den Frieden in der Region zu sichern.

Die Gespräche zwischen Pashinyan und Erdogan könnten auch die Bedingungen für die Wiedereröffnung der Grenze erörtern, die seit der Schließung vor 30 Jahren eine erhebliche wirtschaftliche Belastung für Armenien darstellt. Finanzberichte zeigen, dass die Schließung der Grenze nicht nur den Handel behindert hat, sondern auch zur Isolation des Landes auf dem internationalen Markt beigetragen hat.

Ein hochrangiger armenischer Diplomat erklärte, dass die Gespräche auch Fragen wie den Friedensprozess zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie größere geopolitische Themen wie den israelisch-iranischen Konflikt beleuchten könnten. Diese Verbindung zeigt, dass die Region nicht nur durch lokale Konflikte, sondern auch durch internationale Interessen geprägt ist, die die Dynamik erheblich beeinflussen können. DW hebt hervor, dass die Türkei eine entscheidende Rolle im Schachspiel der geopolitischen Interessen im Südkaukasus spielt.

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Auswirkungen und Reaktionen

Die Reaktionen auf Pashinyans bevorstehenden Besuch sind gemischt. Während einige Experten und Politiker die Initiative als Chance zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei begrüßen, gibt es auch starke Bedenken hinsichtlich der politischen Risiken, die eine Normalisierung mit der Türkei für Pashinyan und seine Regierung mit sich bringen könnte. Euronews berichtet, dass zahlreiche Demonstrationen in Jerewan stattfanden, bei denen die Bevölkerung gegen die Konzessionen an die Türkei protestierte.

Die Armenier haben in der Vergangenheit leidenschaftlich gegen jede Form von Verhandlung mit der Türkei protestiert, die nicht die vollständige Anerkennung des Völkermords an den Armeniern beinhaltete. Diese Emotionen kommen in einer Zeit hoch, in der die Bevölkerung immer noch unter den Nachwirkungen des Konflikts um Berg-Karabach leidet. Die Frage bleibt, ob Pashinyan in der Lage sein wird, die Zustimmung der Öffentlichkeit zu gewinnen, um diese diplomatische Wende zu rechtfertigen.

Zukünftige Entwicklungen

In Anbetracht der Komplexität der politischen Landschaft in der Region wird der bevorstehende Besuch von Pashinyan in der Türkei ein entscheidender Test für die Fähigkeit seines Regimes sein, diplomatische Fortschritte zu erzielen und gleichzeitig die innenpolitischen Spannungen zu managen. Die Ergebnisse dieser Gespräche könnten weitreichende Folgen für die Stabilität in der Kaukasusregion haben, die seit Jahren von Konflikten und politischen Umwälzungen geprägt ist.

Obwohl die Türkei signalisiert hat, dass sie bereit ist, die Grenzen zu öffnen, bleibt abzuwarten, ob dies ohne die Unterzeichnung eines Friedensvertrags mit Aserbaidschan erfolgen kann. Diese Dynamik könnte die Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan beeinflussen und die Frage aufwerfen, ob ein umfassender Frieden in der Region erreichbar ist. Die nächsten Schritte in diesem diplomatischen Prozess werden entscheidend sein, um das Schicksal der Völker beider Länder zu bestimmen und die Richtung der regionalen geopolitischen Beziehungen zu beeinflussen.

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