Die Entscheidung der ungarischen Regierung unter Premierminister Viktor Orbán, sich vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) zurückzuziehen, hat sowohl in der internationalen Gemeinschaft als auch innerhalb der Europäischen Union für erhebliches Aufsehen gesorgt. Am 2. Juni 2025 informierten die ungarischen Behörden den Generalsekretär der Vereinten Nationen über ihren Rückzug aus dem Römischen Statut, dem Gründungsvertrag des ICC. Diese Entscheidung folgt auf ein Votum des ungarischen Parlaments vom 20. Mai 2025 und erfolgt inmitten der anhaltenden politischen Spannungen in Europa.
Orbán kündigte den Rückzug am 3. April 2025 an, während des Besuchs des israelischen Premierministers Benjamin Netanyahu in Budapest. Diese Entscheidung wird als weiterer Schritt in einer Reihe von Maßnahmen gesehen, die die ungarische Regierung ergreift, um ihre Autonomie von internationalen Normen und Institutionen zu betonen, und wird von Beobachtern als Affront gegen die Opfer und Überlebenden schwerster Verbrechen gewertet.

Hintergründe und Kontext
Die ungarische Regierung hat in den letzten Jahren wiederholt ihre Haltung gegenüber internationalen Institutionen in Frage gestellt. Die Entscheidung, sich vom ICC zurückzuziehen, ist nicht isoliert; sie ist Teil eines umfassenderen Trends, den europäischen Rechtsrahmen zu hinterfragen und sich von internationalen Verpflichtungen zu distanzieren. Gergely Gulyás, der Stabschef von Orbán, erklärte kürzlich, dass Ungarn die Verfahren zur Rücknahme der Mitgliedschaft in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen einleiten werde.
Der ICC wurde 2002 gegründet, um Verbrecher gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrecher und Völkermörder zur Rechenschaft zu ziehen. Der Rückzug Ungarns könnte die Bemühungen des Gerichtshofes untergraben, Gerechtigkeit für die Opfer internationaler Verbrechen zu erlangen. Experten warnen, dass dies ein gefährliches Signal für andere Länder senden könnte, die ähnliche Überlegungen anstellen.
Die ungarische Regierung beruft sich auf eine angebliche Verzerrung der Arbeit des ICC, insbesondere im Hinblick auf die Behandlung israelischer Führer, die wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen gesucht werden. Die Entscheidung, sich zurückzuziehen, könnte auch als politische Geste gegenüber nationalistischer und rechtsextremer Wählergruppen betrachtet werden, die eine restriktive Haltung gegenüber internationalen Institutionen fordern.

Investigative Enthüllungen
Laut Human Rights Watch ist der Rückzug Ungarns ein Schlag ins Gesicht für die Überlebenden und Opfer schwerster Verbrechen. Der Gerichtshof untersucht laufend Vorwürfe gegen hochrangige israelische Beamte, einschließlich Netanyahu und seines ehemaligen Verteidigungsministers Yoav Gallant, die wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Gaza gesucht werden. Diese Situation hat Fragen zur rechtlichen Verantwortung von Staaten aufgeworfen, die in der Lage sind, gesuchte Personen zu verhaften.
Die Tatsache, dass Ungarn sich nicht nur weigerte, Netanyahu während seines Besuchs zu verhaften, sondern auch aktiv den Rückzug aus der ICC-Institution anstrebt, wirft ernsthafte Bedenken über die Rechtsstaatlichkeit und internationale Zusammenarbeit auf. Der ICC hat die Verpflichtung, die Einhaltung seiner Erlassbeschlüsse von Mitgliedstaaten zu überwachen, und Ungarns Verhalten könnte als wesentliches Versagen in dieser Hinsicht betrachtet werden.
Zusätzlich hat die ungarische Regierung die Relevanz der ICC-Institution in Frage gestellt, indem sie erklärt hat, dass der Gerichtshof zunehmend politisiert sei und die Interessen kleinerer Nationen nicht mehr vertrete. Dies steht im Widerspruch zu den Grundprinzipien des Römischen Statuts, das die Unabhängigkeit und Neutralität des Gerichts betont. Ungarische Juristen und Zivilgesellschaft haben die Entscheidung scharf kritisiert und argumentiert, dass sie die Glaubwürdigkeit des Landes in internationalen Angelegenheiten untergräbt.

Auswirkungen und Reaktionen
Die Entscheidung Ungarns hat sofortige Reaktionen aus verschiedenen EU-Staaten und von Menschenrechtsorganisationen ausgelöst. Länder wie Litauen, Slowenien, Irland und Österreich haben die Entscheidung als Verletzung der grundlegenden Werte der EU und des gemeinsamen Engagements für internationale Gerechtigkeit verurteilt.
Die Präsidentschaft der ICC-Versammlung der Vertragsstaaten äußerte Bedauern über den Rückzug Ungarns und erinnerte das Land an seine laufenden Verpflichtungen nach dem Römischen Statut. Diese Reaktionen unterstreichen die tiefen Spannungen zwischen Ungarn und den restlichen EU-Staaten, die sich für eine starke Unterstützung des ICC einsetzen.
Die Europäische Kommission hat ebenfalls ihre Unterstützung für den ICC bekräftigt und darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, den Gerichtshof bis zur Vollziehung des Rückzugs zu unterstützen. Diese Verpflichtung könnte Ungarn in eine schwierige Lage bringen, wenn es versucht, seine internationalen Verpflichtungen zu ignorieren.
Zukünftige Entwicklungen
Der Rückzug Ungarns aus dem ICC wird Auswirkungen auf die zukünftige Rolle des Landes innerhalb der EU und seine internationalen Beziehungen haben. Wenn die Rückzugserklärung wirksam wird, wird Ungarn das dritte Land sein, das sich aus dem ICC zurückzieht, nach Burundi und den Philippinen. Es wird auch das einzige Land sein, das nicht Mitglied des ICC in der EU ist, was die geopolitischen Spannungen innerhalb der Union verstärken könnte.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen nun überlegen, wie sie auf diesen Rückzug reagieren. Es wird erwartet, dass Druck auf Ungarn ausgeübt wird, um seine Entscheidung zu überdenken, insbesondere angesichts der Verantwortung, die Länder auch gegenüber ihren Bürgern und der internationalen Gemeinschaft haben. Ein solches Vorgehen könnte entscheidend sein für die Aufrechterhaltung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der internationalen Gerechtigkeit in der gesamten EU.
Die langfristigen Auswirkungen dieser Entscheidung werden sich in den kommenden Monaten zeigen, während Ungarn weiterhin versucht, seine politische Agenda voranzutreiben und gleichzeitig die Beziehungen zu seinen europäischen Nachbarn zu navigieren. Die Unterstützung für den ICC und die damit verbundenen Prinzipien von Gerechtigkeit und Verantwortung könnten im Fokus der politischen Debatten innerhalb der EU stehen, als eine direkte Folge dieser ungarischen Entscheidung.