Deutschland bereitet sich auf eine umfassende Ausweitung seines Netzwerks von bombensicheren Bunkern und Schutzräumen vor, wie der ranghöchste zivile Schutzbeamte des Landes mitteilte. Er warnte davor, dass der Staat auf einen Angriff aus Russland innerhalb der nächsten vier Jahre vorbereitet sein müsse.
Ralph Tiesler, der Leiter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), erklärte, dass sich Europas größte Volkswirtschaft der Realität eines möglichen Konflikts bewusst werden müsse, da Deutschland derzeit unzureichend vorbereitet sei.
„Lange Zeit herrschte in Deutschland der weit verbreitete Glaube, dass Krieg kein Szenario ist, auf das wir uns vorbereiten müssen. Das hat sich geändert. Wir sind besorgt über das Risiko eines großen Angriffskriegs in Europa“, sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Hintergründe und Kontext
Die Pläne zur schnellen Erweiterung der Schutzinfrastruktur kommen in einem kritischen Moment, in dem die Spannungen in Europa aufgrund der anhaltenden russischen Invasion in der Ukraine zunehmen. Die Besorgnis ist gewachsen, dass Moskau neue Fronten in Europa eröffnen könnte, insbesondere in den baltischen Staaten, aber auch in Polen und Deutschland.
Über Nacht führten russische Streitkräfte Raketen- und Bombenangriffe auf die ukrainische Stadt Charkiw durch, wobei drei Menschen getötet und 22 verletzt wurden. Der Bürgermeister, Ihor Terekhov, erklärte auf Telegram, dass die Stadt „den stärksten Angriff seit Beginn des umfassenden Krieges“ erlebe.
Deutschland steht vor der Herausforderung, seine veralteten Bunker zu modernisieren, von denen viele aus dem Zweiten Weltkrieg und der Ära des Kalten Krieges stammen. Von den etwa 2.000 Bunkern und Schutzräumen sind nur etwa 580 funktionstüchtig, und die meisten benötigen kostspielige Renovierungen. Diese könnten etwa 480.000 Menschen Schutz bieten, was nur einem halben Prozent der deutschen Bevölkerung entspricht. Zum Vergleich: Finnland verfügt über 50.000 Schutzräume, die Platz für 4,8 Millionen Menschen bieten, was 85 % seiner Bevölkerung entspricht.
Tiesler betonte, dass eine nationale Anstrengung erforderlich sei, um Tunnel, U-Bahn-Stationen, Tiefgaragen und die Keller öffentlicher Gebäude in Schutzhäuser umzuwandeln, um „schnell Platz für 1 Million Menschen zu schaffen“. Sein Amt werde im Sommer einen umfassenden Plan vorlegen.

Investigative Enthüllungen
Die Pläne zur Erweiterung der Bunker sind jedoch nicht ohne finanzielle und logistische Herausforderungen. Tiesler betonte, dass der Bau neuer Bunkeranlagen nicht ausreiche, da diese lange Planungs- und Bauzeiten erfordern und sehr kostspielig seien. Daher müssten bestehende Strukturen sofort genauer betrachtet werden.
Die Notwendigkeit, die Informationssysteme zu verfeinern, war ebenfalls ein zentrales Thema. Dazu gehören Apps und Straßenschilder, die der Öffentlichkeit genau zeigen, wo sie Schutz suchen können. Auch die bestehenden Warn-Apps müssten besser vor Hackern geschützt werden, sagte Tiesler.
Ein weiteres Element der Pläne betrifft die Verbesserung der Sicherheitsinfrastruktur im weiteren Sinne. Die Investitionen in Geheimdienste und Cybersicherheitsstrukturen, die dringend benötigt werden, stehen ebenfalls im Wettbewerb um die verfügbaren Mittel. Tiesler schätzt, dass in den nächsten vier Jahren mindestens 10 Milliarden Euro und in den nächsten zehn Jahren mindestens 30 Milliarden Euro für den zivilen Schutz benötigt werden.

Auswirkungen und Reaktionen
Die Pläne haben innerhalb der Bundesregierung Diskussionen ausgelöst. Tiesler forderte die Regierung unter Leitung von Friedrich Merz auf, sicherzustellen, dass die notwendigen Mittel zur Durchsetzung der Pläne bereitgestellt werden. Obwohl die Regierung die Notwendigkeit der Pläne anerkannt hat, wurden bisher keine formalen Mittel bereitgestellt.
Die Finanzierung wird voraussichtlich aus den Milliardenbeträgen bereitgestellt, die nach der Aussetzung der Schuldenbremse im März vom Parlament freigegeben wurden, wodurch umfangreiche Ausgaben für das Militär, lebenswichtige Infrastruktur und den Zivilschutz ermöglicht wurden.
Ein weiterer Vorschlag von Tiesler ist die Einrichtung eines verpflichtenden oder freiwilligen Zivilschutzdienstes. Er appellierte an die Bürger, zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des Landes beizutragen, indem sie sich mit Notvorräten für den Fall von Strom- und Wasserausfällen eindecken.
„Unser Appell lautet: Legen Sie, wenn möglich, Vorräte an, die für zehn Tage ausreichen“, betonte er und spiegelte damit ähnliche Aufrufe anderer Institutionen wider.
Zukünftige Entwicklungen
Obwohl die Pläne zur raschen Erweiterung und Modernisierung der Schutzinfrastruktur ambitioniert sind, bleibt die Frage, ob sie in der vorgeschlagenen Zeitspanne umgesetzt werden können. Die Herausforderungen, die mit der Finanzierung, Planung und Koordination verbunden sind, könnten erhebliche Verzögerungen verursachen.
Angesichts der geopolitischen Spannungen in Europa und der anhaltenden Bedrohung durch Russland wird der Erfolg dieser Bemühungen entscheidend für die zukünftige Sicherheit Deutschlands sein. Die kommenden Monate werden zeigen, wie die Regierung die Bedenken der Bevölkerung adressieren und die Umsetzung der Pläne vorantreiben kann.
Die Situation bleibt angespannt, doch die Maßnahmen, die Deutschland ergreift, könnten als Modell für andere europäische Länder dienen, die sich ebenfalls mit ähnlichen Bedrohungen konfrontiert sehen.