Erste unabhängige Umfrage zu Todesfällen im Gazastreifen meldet über 80.000 Tote
Die verheerenden Auswirkungen des anhaltenden Konflikts im Gazastreifen sind nun durch die erste unabhängige Umfrage zu Todesfällen während des Krieges zwischen Hamas und Israel quantifiziert worden. Laut der Studie, die vor Kurzem auf dem Preprint-Server medRxiv veröffentlicht wurde, starben zwischen Oktober 2023 und Anfang Januar 2025 fast 84.000 Menschen. Über die Hälfte der Opfern waren Frauen im Alter von 18 bis 64 Jahren, Kinder oder Personen über 65 Jahre.
Die Zahlen dieser Umfrage stehen im Gegensatz zu den offiziellen Statistiken des palästinensischen Gesundheitsministeriums, das die Todesfälle seit Beginn des Krieges zählt und am 25. Juni 2025 eine Zahl von 56.200 Toten veröffentlichte. Diese Diskrepanz hat Kritiker auf den Plan gerufen, die die Zuverlässigkeit der Ministeriumszahlen in Frage stellen, insbesondere angesichts der zunehmenden Angriffe auf medizinische Einrichtungen.

Hintergründe und Kontext
Die Umfrage wurde in Zusammenarbeit mit dem Palästinensischen Zentrum für Politik und Umfragen durchgeführt, das die Erhebung in 2.000 zufällig ausgewählten Haushalten im Gazastreifen leitete. Die Forscher waren aufgrund der aktiven Konflikte und Evakuierungsanordnungen nicht in der Lage, Gebiete wie Nordgaza, Gaza-Stadt oder Rafah zu betreten. Dennoch konnten sie bedeutende Daten sammeln, da viele Personen aus diesen Gebieten in die befragten Regionen geflohen waren.
Die Erhebung begann am 30. Dezember 2024 und umfasste Interviews mit Erwachsenen in den Haushalten. Den Befragten wurde Anonymität zugesichert, und sie wurden gebeten, die Anzahl der Mitglieder in ihrem Haushalt am 6. Oktober 2023 zu benennen sowie die Schicksale aller Mitglieder seitdem zu erläutern. Dieser methodische Ansatz verspricht eine detaillierte und realistische Erfassung der Todesfälle, auch wenn die Umstände herausfordernd waren.
Patrick Ball, ein Statistiker und Direktor der Human Rights Data Analysis Group, hebt hervor, dass die Stärke dieser Umfrage in der Durchführbarkeit der Feldarbeit liegt. "Es ist außergewöhnlich, dass das Team in der Lage war, eine so detaillierte Umfrage inmitten des Konflikts durchzuführen", erklärt er.

Investigative Enthüllungen
Die Umfrage ergab schockierende Zahlen: Etwa 75.200 der insgesamt geschätzten 84.000 Todesfälle wurden als gewaltsame Tode klassifiziert, während 8.540 Menschen an nicht gewaltsamen Ursachen starben. Diese Zahlen decken sich mit früheren Berichten anderer Organisationen, was die Glaubwürdigkeit der Schätzung erhöht.
Michael Spagat, ein Mitautor der Studie und Forscher an der Royal Holloway, University of London, warnt jedoch, dass die Zahl der nicht gewaltsamen Todesfälle seit der Umfrage möglicherweise gestiegen ist. Der Gesundheitszustand der Palästinenser und der Zugang zu medizinischer Versorgung haben sich seit Kriegsbeginn dramatisch verschlechtert. Debarati Guha-Sapir, eine Epidemiologin von der Universität Löwen, fügt hinzu, dass die gesundheitlichen Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung möglicherweise weitreichender sind, als die vorliegenden Daten zeigen können.
Die Umfrage bezieht sich auf einen Zeitraum von 15 Monaten und ist somit auch sechs Monate nach der Datenerhebung noch relevant. Laith Jamal Abu-Raddad, Epidemiologe an der Weill Cornell Medicine-Qatar, betont, dass die fortdauernde Krise und die jüngsten Eskalationen die Relevanz der Ergebnisse unterstreichen.

Auswirkungen und Reaktionen
Die offizielle palästinensische Seite hat die Ergebnisse der unabhängigen Umfrage nicht kommentiert, doch die internationalen Reaktionen auf die veröffentlichten Zahlen sind unterschiedlich. Menschenrechtsorganisationen fordern eine gründliche Untersuchung der Todesursachen und die Verantwortung der Konfliktparteien. Der Druck auf Regierungen, die im Konflikt involviert sind, könnte steigen, insbesondere in Anbetracht der großen Zahl ziviler Opfer.
Die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung sind verheerend. Die ständige Unsicherheit und das Fehlen grundlegender Gesundheitsversorgung führen zu einer Humanitären Krise. Laut dem UNRWA benötigen Millionen von Menschen im Gazastreifen mittlerweile humanitäre Hilfe. Die Zerstörung von Infrastruktur hat den Zugang zu Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung stark eingeschränkt und führt zu einer erhöhten Sterblichkeit, insbesondere unter den Schwächsten der Gesellschaft.
Zukünftige Entwicklungen
Angesichts der anhaltenden Gewalt und der humanitären Krise im Gazastreifen bleibt abzuwarten, wie sich die Lage weiter entwickeln wird. Experten warnen vor einer möglichen weiteren Eskalation, die die ohnehin fragilen Verhältnisse noch weiter destabilisieren könnte. Der Kampf um humanitäre Hilfe und die internationale Reaktion auf die Tragödie könnten in den kommenden Monaten entscheidend sein.
Die Ergebnisse dieser Umfrage sind ein Weckruf für die Weltgemeinschaft. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie die internationale Gemeinschaft auf diese erschreckenden Zahlen reagieren wird und ob es zu einer Neuausrichtung der politischen Strategie in Bezug auf den Konflikt kommen könnte. Der Schutz der Zivilbevölkerung muss in den Mittelpunkt aller Anstrengungen gestellt werden, um weiteres Leid zu verhindern.