Als Dr. Theresa Tam sich darauf vorbereitet, ihr Amt als oberste Ärztin Kanadas am 20. Juni zu verlassen, betont sie die Notwendigkeit, für die Wissenschaft einzutreten und gegen Desinformation zu kämpfen. Nach acht Jahren im Amt – davon fünf Jahre als zentrale Figur in der öffentlichen Gesundheitskrise durch die COVID-19-Pandemie – hinterlässt sie ein gemischtes Erbe und wirft Fragen zu den Herausforderungen auf, die das Gesundheitswesen in Kanada weiterhin bewältigen muss.
In einem ausführlichen Interview äußerte Tam, dass sie sich auf die kommenden Herausforderungen freut, aber auch Zeit mit ihrer Familie verbringen möchte. Es ist eine Phase des Nachdenkens, wie sie selbst sagt: „Eine strategische Planung war es, etwas Zeit zu nehmen, um zu reflektieren und zu sehen, welche Möglichkeiten mir offenstehen, die sowohl spannend als auch sinnvoll sind.“

Die Rolle von Dr. Theresa Tam während der Pandemie
Dr. Tams Karriere im öffentlichen Gesundheitswesen reicht zurück bis ins Jahr 1998, als sie als Feld-Epidemiologin in die federal government von Kanada eintrat. Ihre Expertise in der Bekämpfung von Krankheiten hat sie durch zahlreiche Gesundheitskrisen, einschließlich SARS und H1N1, geprägt. Dennoch wurde sie in den letzten fünf Jahren vor allem durch ihren Umgang mit der COVID-19-Pandemie bekannt. Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur mehr als 60.000 Menschen das Leben gekostet, sondern auch viele Facetten des Alltagslebens in Kanada durcheinandergebracht.
Tam erinnert sich an die Erfolge, die während dieser Krise erzielt wurden, insbesondere an die hohe Impfquote in der Bevölkerung. „Wenn wir nicht die Gemeinschaften gehabt hätten, die getan haben, was sie getan haben, hätten wir nicht so relativ gute Ergebnisse erzielt, wenn man dies mit anderen G7-Ländern vergleicht“, sagte Tam. Diese positive Reflexion über die gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen während der Pandemie steht jedoch im Gegensatz zu den zahlreichen Angriffen, die sie von Menschen erhielt, die mit den von ihr propagierten Gesundheitsmaßnahmen unzufrieden waren.

Herausforderungen und persönliche Belastungen
Die ständige Belastung durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Angriffe auf die öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen hatten auch Auswirkungen auf Tams persönliche Gesundheit und ihr Wohlbefinden. „Mentally, it was very stressful for everyone“, sagt sie, während sie die Unterstützung ihrer Kollegen und ihrer Familie betont. Die ständige Kommunikation mit anderen Gesundheitsbehörden war entscheidend, um gemeinsam durch die Herausforderungen zu navigieren.
Tams Rückhalt kam in Form von informellen Gesprächen, in denen sie mit anderen Fachleuten nicht nur die technischen Herausforderungen besprach, sondern auch menschliche Verbindungen pflegte. „Es gab Sonntagstelefonate, die sehr technisch wurden, aber wir wollten auch die Gelegenheit nutzen, um einfach eine Tasse Tee über das Internet zu teilen“, beschreibt sie die Wichtigkeit von Gemeinschaft und Unterstützung.

Ein Erbe jenseits von COVID-19
Trotz der vorherrschenden Wahrnehmung, dass ihre Amtszeit nur von der Pandemie geprägt ist, möchte Tam, dass ihr Erbe vielseitiger wahrgenommen wird. Ihre Leidenschaft für die Gesundheit von benachteiligten Gruppen und das Streben nach Chancengleichheit für alle ist eine zentrale Komponente ihrer Karriere. Besonders wichtig ist ihr die Arbeit mit rassifizierten Gruppen, Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status und indigenen Völkern, die oft in Gesundheitsfragen übersehen werden.
„Mein Ehrgeiz war immer, im Bereich der Gesundheit Gleichheit für alle zu schaffen“, erklärt sie. Dies umfasst auch die Auseinandersetzung mit komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Drogenmissbrauch und Klimawandel, die die Gesundheit der Menschen bedrohen. Diese Themen sind besonders relevant, da sie oft in den Schatten von akuten Gesundheitskrisen stehen, jedoch ebenso dringend behandelt werden müssen.
Die Zukunft von Dr. Theresa Tam
Mit dem Ende ihrer Amtszeit als chief public health officer plant Tam nicht sofort einen neuen Schritt. Sie hat betont, dass sie Zeit für sich selbst und ihre Familie einplanen möchte, bevor sie ihre nächsten Schritte überdenkt. „Ich möchte auch etwas Zeit mit der Familie verbringen“, sagt sie und verweist darauf, dass persönliche Hobbys und Interessen in den Hintergrund gedrängt wurden.
Tam, die auch als Musikerin bekannt ist, hat das Bedürfnis geäußert, sich wieder intensiver ihrer musikalischen Leidenschaft zu widmen. „Ich bin Musikerin und habe mich nicht wirklich darauf konzentriert“, sagt sie und nennt das Klavier, die Violine, das Cello und die Trompete als Instrumente, die sie spielt. Ihre musikalische Ausbildung bezeichnet sie als einen wertvollen Bestandteil ihrer Identität, auch während der Pandemie, in der sie oft das Bild eines Dirigenten heraufbeschwörte: „Ich denke immer an mich selbst als Dirigentin eines Orchesters, wie ich diese Reaktion leite.“
Gesellschaftliche Reflexion und Ausblick
Die Erfolge und Misserfolge während der COVID-19-Pandemie werfen einen langen Schatten auf die zukünftigen Gesundheitsstrategien in Kanada. Während Tam die positiven Aspekte, wie die Impfkampagne und die Reaktion der Gemeinschaften, hervorhebt, müssen auch die Fehler der Vergangenheit angegangen werden. Der Umgang mit Desinformation und das Fördern von Wissenschaft als vertrauenswürdigen Informationsquelle sind entscheidend, um zukünftige Krisen besser bewältigen zu können.
Tam sieht sich selbst als Teil einer größeren Gemeinschaft von Fachleuten, die an einer gerechteren Gesundheitsversorgung arbeiten. „Die Herausforderungen werden nicht verschwinden, und wir müssen weiterhin die Stimme für Chancengleichheit erheben“, betont sie. Der Kampf gegen die Desinformation, die während der Pandemie allgegenwärtig war, bleibt eine ihrer wichtigsten Anliegen.
Obwohl ihre Amtszeit endet, wird Dr. Tams Einfluss auf die kanadische Gesundheitslandschaft weiterhin spürbar sein. Ihr Erbe wird nicht nur durch ihre Reaktion auf eine der größten Gesundheitskrisen des 21. Jahrhunderts definiert, sondern auch durch ihr Engagement für eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft. Während sie sich auf ihre nächste Lebensphase vorbereitet, bleibt die Frage offen, wie sich die Gesundheitslandschaft Kanadas entwickeln wird, und welche Rolle sie dabei weiterhin spielen wird.