Im Schatten der boomenden Sexcam-Industrie in Kolumbien berichten Models von erschreckenden Erfahrungen, die sie als Schulmädchen gemacht haben. Während einer gewöhnlichen Schulnachmittag erhielt die 17-jährige Isabella ein Prospekt, das sie zur Arbeit in einem Sexcam-Studio anregte. „Willst du mit deiner Schönheit Geld verdienen?“ fragte das Blatt, und der Drang, ihre Familie zu unterstützen, führte sie in eine Welt, die weit entfernt von ihren Schulbüchern war.
Isabella, die ihren echten Namen nicht preisgeben möchte, erzählt von einem Studio, das gezielt Jugendliche in ihrer Umgebung ansprach. An einem Tag, an dem sie nach der Schule nach Hause ging, nahm ihr Leben eine Wendung, die sie sich nie hätte vorstellen können. „Ich brauchte dringend Geld, um meinen zweijährigen Sohn zu unterstützen“, schildert sie. Was sie nicht wusste, war, dass sie sich in einem illegalen Rahmen bewegte, denn in Kolumbien ist es verboten, Webcam-Models unter 18 Jahren zu beschäftigen.

Hintergründe und Kontext
Die Sexcam-Industrie wächst rasant. Laut Analysten hat die Anzahl der monatlichen Zugriffe auf Webcam-Plattformen weltweit seit 2017 mehr als verdreifacht und erreichte im April 2025 fast 1,3 Milliarden. In diesem Zusammenhang hat sich Kolumbien als einer der führenden Standorte für Webcam-Models etabliert. Schätzungen zufolge zählen etwa 400.000 Models und 12.000 Sexcam-Studios zu den Akteuren in diesem Geschäftsfeld.
Die Studios variieren stark - von kleinen, budgetfreundlichen Betrieben bis hin zu großen, professionell geführten Unternehmen, die ihre Räume mit Licht, Computern und Internetverbindungen ausstatten. Die Models führen sexuelle Handlungen aus, die weltweit live gestreamt werden, wobei Zuschauer ihnen über Intermediäre, die als „Monitore“ bekannt sind, Anfragen stellen.
Die Gründe, warum viele Models in Studios arbeiten, sind oft prekär. Häufig mangelt es an Privatsphäre, technischer Ausstattung oder einem stabilen Internetzugang zu Hause. Doch die Verlockung, in einem Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt, schnelles Geld zu verdienen, ist groß. „Es wurde uns versprochen, dass wir einfach viel Geld verdienen könnten“, erklärt ein anderes Model, das ebenfalls anonym bleiben möchte.

Investigative Enthüllungen
Die Erzählungen von Isabella und anderen Models sind nicht nur alarmierend, sondern werfen auch Fragen über die Verantwortlichkeit von internationalen Webcam-Plattformen auf. Zu den größten Plattformen zählen Chaturbate, BongaCams, LiveJasmin und StripChat. Diese Anbieter haben zwar Richtlinien, die sicherstellen sollen, dass alle Performer über 18 Jahre alt sind, jedoch berichten viele Models, dass diese Kontrollen zu leicht umgangen werden können.
Einer der gängigsten Tricks besteht darin, alte Accounts von Models, die das Alter erreicht haben, zu „recyceln“. Diese Accounts werden dann von minderjährigen Mädchen übernommen. „Es hat kein Problem gegeben, als ich noch 17 war“, sagt Isabella, die mittlerweile 18 Jahre alt ist. „Die Studioleiterin erklärte, dass es keine Rolle spiele, dass ich minderjährig war.“
Die Absurdität dieser Praktiken wird unterstrichen durch die Tatsache, dass die Gesetze in den USA und der EU die Verbreitung von sexuell explizitem Material, das Minderjährige involviert, streng verbieten. Dennoch scheinen die internen Kontrollen der Plattformen nicht ausreichend zu sein, um die Ausbeutung junger Frauen und Mädchen zu verhindern.
Präsident Gustavo Petro hat die Betreiber der Studios als „Sklavenhalter“ bezeichnet und die Mechanismen kritisiert, durch die Frauen und Mädchen wie Isabella in diese Industrie gelockt werden. Viele Betreiber der Studios verbergen sich hinter dem Deckmantel der „kreativen Freiheit“ und bieten vorgeblich Schutz und Unterstützung an, doch die Realität sieht oft anders aus.

Auswirkungen und Reaktionen
Die Auswirkungen dieser Praktiken sind immens. Models wie Isabella berichten von psychischen Problemen, die aus der ständigen Ausbeutung und dem Druck, die Erwartungen der Zuschauer zu erfüllen, resultieren. Der Stress, in einer Umgebung zu arbeiten, die ein Gefühl von Kontrolle und Machtlosigkeit fördert, hinterlässt tiefgreifende Wunden. „Ich fühlte mich, als ob ich ständig beobachtet werde“, sagt sie. „Es war eine Art Gefängnis, in dem ich mich befand.“
Die Reaktionen auf diese Missstände sind vielfältig. Aktivisten und Organisationen, die sich für die Rechte von Frauen und Mädchen einsetzen, fordern eine strengere Regulierung der Sexcam-Industrie. Sie betonen die Notwendigkeit, Opfern von Ausbeutung und Missbrauch Unterstützung zu bieten und die Gesetzgebung zu verschärfen, um Minderjährige besser zu schützen. „Es ist wichtig, dass wir den Stimmen von Frauen Gehör schenken, die in dieser Industrie gefangen sind“, erklärt eine Vertreterin einer NGO. „Ohne Veränderungen bleibt die Situation für viele unerträglich.“
Die öffentliche Wahrnehmung des Themas verändert sich, da immer mehr Berichte über die dunklen Seiten der Sexcam-Industrie ans Licht kommen. Eltern, Lehrer und Gemeinschaftsführer sind zunehmend besorgt über die Rekrutierung junger Frauen und Mädchen und die damit verbundenen Risiken. „Wir müssen sicherstellen, dass junge Menschen über die Gefahren informiert sind und Alternativen in Betracht ziehen können, die nicht mit ihrer Ausbeutung in Verbindung stehen“, appelliert ein Schulpsychologe.
Zukünftige Entwicklungen
Die fortdauernde Diskussion um die Sexcam-Industrie und ihre Auswirkungen auf Jugendliche wird voraussichtlich weiterhin im Mittelpunkt stehen. Gesetzgeber weltweit sind gefordert, neue Regelungen zu schaffen, die nicht nur Minderjährige schützen, sondern auch die Betreiber von Studios zur Verantwortung ziehen.
Die Stimmen der Models, die ihre Geschichten teilen, werden immer lauter. Isabella und viele andere hoffen, dass ihre Erfahrungen als Mahnung dienen, um auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die mit der Rekrutierung von Minderjährigen in der Sexcam-Industrie verbunden sind. „Ich möchte, dass andere Mädchen wissen, was auf sie zukommen kann“, sagt sie. „Es ist nicht nur Geld, es ist eine Entscheidung, die dein ganzes Leben beeinflussen kann.“
Die Sexcam-Industrie könnte also vor einem Umbruch stehen, doch die Herausforderungen sind groß. Solange Unterdrückung und Ausbeutung im Verborgenen gedeihen, bleibt viel zu tun. Die Geschichten dieser mutigen Frauen sollten als Anstoß dienen, um Veränderungen herbeizuführen und ein Bewusstsein für die Gefahren zu schaffen, die viele noch immer ignorieren.