Seit Javier Milei im Dezember 2023 das Präsidentenamt in Argentinien übernahm, hat sich die Außenpolitik des Landes in einem bislang nie dagewesenen Maße gewandelt. Eine „anti-sozialistische“ Rhetorik, eine kompromisslose Ausrichtung auf die Vereinigten Staaten und Israel sowie eine ausgeprägte Gleichgültigkeit gegenüber regionalen Integrationsbestrebungen haben Argentiniens Platz auf dem internationalen Schachbrett neu definiert. In diesem neuen Paradigma befindet sich die Beziehung zu Russland – mit dem Argentinien einen Handelsüberschuss hat – in einem Zustand diplomatischer Hibernation.
So zumindest lautet die Diagnose des Botschafters des Kremls in Buenos Aires, Dmitry Feoktistov. In einem Interview, das er anlässlich des russischen Nationalfeiertags am 12. Juni in der Botschaft in Recoleta führte, diskutierte der Diplomat über die bilateralen Beziehungen, die nun im globalen Grabenstein stecken, der infolge des Ukraine-Kriegs entstanden ist. „Leider sind die Beziehungen zwischen unseren Ländern seit Beginn der militärischen Operationen in der Ukraine in vielerlei Hinsicht eingefroren – und nicht auf Russlands Initiative“, räumte Feoktistov ein.
Trotz des diplomatischen Stillstands bleibt er optimistisch: „Unsere Freundschaft ist viel dauerhafter als die aktuelle geopolitische Situation und wird jede Verwaltung überstehen.“ Dieses Statement spiegelt den Wunsch wider, die historischen Verbindungen zwischen den beiden Ländern nicht aus dem Blick zu verlieren, während sich die politischen Rahmenbedingungen drastisch ändern.

Hintergründe und Kontext
Die Wurzeln der argentinisch-russischen Beziehungen reichen bis ins Jahr 1885 zurück, als die beiden Länder diplomatische Beziehungen aufnahmen. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich diese Beziehungen in unterschiedlichen politischen Kontexten entwickelt, oft beeinflusst von den geopolitischen Strömungen der Zeit. Historisch betrachtet war Argentinien oft ein Partner, der auf Wirtschaftskooperation und kulturellen Austausch setzte. Doch die Wahl von Milei hat diese Dynamik grundlegend verändert.
Die neue Regierung hat sich klar von früheren sozialistischen Regierungen distanziert und verfolgt eine pro-westliche Außenpolitik, die in starkem Kontrast zu den Beziehungen zu Russland steht. Dies zeigt sich nicht nur in der Rhetorik, sondern auch in der praktischen Politik. Während Feoktistov darauf hinweist, dass es weiterhin diplomatische Beziehungen gibt, ist das Niveau des Austauschs gesunken, und konkrete wirtschaftliche Projekte, die in der Vergangenheit zur Zusammenarbeit beigetragen hatten, sind in der Warteschleife.
Ein weiterer Faktor, der die Beziehung beeinflusst, ist die geopolitische Lage in Südamerika. Argentinien hat historisch die Rolle eines regionalen Führers eingenommen, doch die politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen unter Milei haben diese Rolle in Frage gestellt. Kritiker befürchten, dass die enge Anlehnung an die USA und die Distanz zu Russland das Land politisch isolieren könnten.

Investigative Enthüllungen
Feoktistovs Äußerungen zu einem „eingefrorenen“ Verhältnis werfen Fragen hinsichtlich der tatsächlichen diplomatischen Verbindungen zwischen Argentinien und Russland auf. Trotz der Schwierigkeiten sind sich beide Länder über die Bedeutung ihrer wirtschaftlichen Beziehungen bewusst. Laut Daten aus dem Handelsministerium hat Argentinien in den letzten Jahren einen Handelsüberschuss mit Russland erwirtschaftet, was darauf hindeutet, dass eine Grundlage für Zusammenarbeit weiterhin existiert.
Der Botschafter hob hervor, dass Buenos Aires bislang nicht den westlichen Sanktionen gegen Russland beigetreten ist und auch keine militärische Unterstützung für die Ukraine geleistet hat. Dies wird von Moskau als „weise und konstruktive Haltung“ gewürdigt. Trotzdem bleibt die Frage, wie lange Argentinien diese Position halten kann, insbesondere angesichts des zunehmenden Drucks aus den USA und Europa, sich von Russland zu distanzieren.
Die strategische Bedeutung Russlands für Argentinien könnte durch die geopolitischen Veränderungen unter der neuen US-Regierung beeinflusst werden. Analysten warnen, dass ein zurückkehrender Donald Trump als Präsident der USA ein Umdenken der argentinischen Regierung in Bezug auf ihre Außenpolitik bewirken könnte.

Auswirkungen und Reaktionen
Die Auswirkungen der veränderten Beziehung zwischen Argentinien und Russland sind nicht nur politischer, sondern auch wirtschaftlicher Natur. Lokale Unternehmen, die auf den Austausch mit Russland angewiesen sind, sehen sich mit Unsicherheiten konfrontiert. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht wies die Wirtschaftskammer Argentiniens darauf hin, dass die Unsicherheiten in den internationalen Beziehungen zu einem Rückgang des Handelsvolumens führen könnten, was für viele kleine und mittelständische Unternehmen existenzbedrohend wäre.
Auf politischer Ebene hat die Regierung Milei bereits mit internen Konflikten zu kämpfen, die durch die anhaltende Korruptionsdebatte um Cristina Fernández de Kirchner und die von ihr geführte Regierung verschärft werden. Feoktistov äußerte sich hierzu zurückhaltend und erklärte, dass solche Themen in die interne Politik Argentiniens fallen. Doch die Unsicherheit könnte sich auch auf die internationalen Beziehungen auswirken, da das Vertrauen in die argentinische Führung durch solche Krisen beeinträchtigt wird.
Zukünftige Entwicklungen
Die Zukunft der Beziehungen zwischen Argentinien und Russland ist ungewiss, vor allem angesichts der sich ständig ändernden geopolitischen Landschaft. Feoktistov betonte, dass die Entscheidung über die Intensität und den Umfang der bilateralen Zusammenarbeit bei Argentinien liege. „Der Ball liegt in ihrem Spielfeld“, sagte er, was darauf hindeutet, dass Moskau bereit ist, die Beziehungen zu vertiefen, sofern Buenos Aires dies wünscht.
Die Frage bleibt, ob die Regierung Milei bereit ist, sich auf eine solche Annäherung einzulassen, insbesondere wenn dies bedeuten könnte, sich den geopolitischen Spannungen zwischen den großen Mächten zu widersetzen. Analysten beobachten die Situation genau und warnen, dass die politischen Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, weitreichende Folgen für die Zukunft Argentiniens haben könnten.
Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu verstehen, ob Argentinien seine diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland neu bewerten kann oder ob die Kluft weiter bestehen bleibt. In einer Welt, die von geopolitischen Spannungen geprägt ist, könnte der Kurs, den Argentinien unter der Führung von Milei einschlägt, nicht nur für das Land selbst von Bedeutung sein, sondern auch für die gesamte Region.